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Bei den Berbern  im  zentralen   Hohen Atlas
Bericht eines faszinierenden 8-Tage-Treks

   Blick von der Passstrasse von Marrakech nach Ouarzazate         
Nur langsam schiebt sich die Zivilisation in das höchste Gebirge Nordafrikas. Drei Arbeiter hat die Straßenbaufirma hier abgesetzt. Aber nur einer arbeitet. Die beiden anderen grüßen freundlich als unser Landrover langsam den Absatz von der Schlammpiste zum Asphalt überwindet.  Dieser Absatz erscheint mir wie die Grenzlinie zwischen der hinter uns liegenden Bergwelt und der vor uns liegenden Zivilisation.

Acht Tage, im Oktober, habe ich von der Freundlichkeit dieser Menschen und von der Langsamkeit des Straßenbaus profitiert. Die noch nicht fertigen Straßen ermöglichten mir eine faszinierende Tour durch ursprüngliche Bergdörfer und durch unzerschnittene wilde Landschaften. Die Menschen nahmen mich nachts in ihre Häuser auf, und tagsüber transportierten sie meinen Rucksack mit ihren Maultieren über die schweißtreibenden Sattel dieses vielfältigen Hochgebirges. Oder ich erholte mich in ihrer Mitte bei Kuskus und Tee.

Begonnen hatte meine Tour auf dem Tizi n' Tichka. Mit 2260 m bildet er den höchsten Punkt der Autostraße von Marrakesch nach Ouarzazat. Querfeldein gelangte ich nach Tiguidert. Dort, wo die Dörfer noch über einen Karrenweg mit der Zivilisation verbunden waren, genoss ich zum erstenmal die selbstverständliche Hilfsbereitschaft der Bergbewohner. Ohne dass ich darum bat, hielt ein LKW der Straßenbaufirma und ich fuhr die verbleibende Strecke bis Telouet auf Dachgepäckträger zwischen zwei Arbeitern und einem bedrohlich hin und her rutschenden Haufen von Spaten, Schaufeln und Spitzhacken mit. Ich sollte in den folgenden Tagen noch oft erfahren, was Hilfsbereitschaft bedeutet.     

Bei einsetzender Dunkelheit, schon auf die anschließende Suche nach einem Biwakplatz eingestimmt, kletterte ich an jenem Tag im Ortskern Teleouets vom Dachgepäckträger. Ein Einheimischer fragte mich lauthals quer über die Straße: "Hotel ?". Mir war hier zwar kein Hotel bekannt, aber warum nicht. Sofort hielt er einen gerade abfahrenden klapprigen Peugeot wieder an, riss die Tür auf, bugsierte mich hinein und los. 3 Minuten später am Ortsausgang die "Auberge Teleouet". Ehe ich mich richtig bedanken konnte waren sie schon verschwunden. Zweite Lektion in Sachen Hilfsbereitschaft.                                                                                                                                                                      

Mohammed, der Wirt, bereitete "Berbersalat" und "Berberomelett" (Tomatensalat und  Rührei, beides typisch marokkanisch gewürzt) sowie "Berber-Whisky" (Grüner Tee mit Minze und sehr viel Zucker). Erstes Kommunikationstraining ohne jegliche gemeinsame Sprachbasis. Hände, Füße, Gestik, Mimik und Bleistiftskizzen sind die - improvisierte aber funktionsfähige - gemeinsame Sprache.          

Da die Sprache der Berber von den meisten Menschen nur gesprochen, nicht aber geschrieben wird, fehlt es weitestgehend an Überlieferungen, und somit an geschichtlichen Informationen über die Ureinwohner Nordafrikas. Das befördert mystische Spekulationen sogar bis in unsere Breiten. Ich war gespannt, diese Menschen in den nächsten Tagen näher kennenzulernen. Ich wusste, Berber-Nomaden waren um diese Jahreszeit mit ihren Ziegenherden, Maultieren, Kamelen und Zelten schon in die wärmeren Täler gezogen. Da der Winter in weiten Teilen des Hohen Atlas reichlich Schneefall und eisige Kälte bringen würde, waren nur noch die in ihren Dörfern fest angesiedelten Berber anzutreffen.

Drei in Casablanca als Lehrer arbeitende französische Mountenbiker, die einzigen anderen Gäste in Mohammeds einfacher Herberge, waren die ersten und letzten Touristen, die ich während meiner Atlas - Tour traf.                                                                                  

Am nächsten Morgen scheiterte ich nach einer halben Stunde am Versuch, in das fünfzehn Kilometer entfernte Dorf Anmiter zu laufen: LKW, Dachgepäckträger, zwei Arbeiter, diverse Werkzeuge, aber diesmal in einer beruhigend wirkenden stabilen Holzkiste. Dritte Lektion... . Ich erspare mir fortan das Mitzählen. Symbolik auf einem marokkanischen Berberteppich

Brahims schwarzes lachendes Gesicht verfinsterte sich schlagartig, als ich versuchte den Preis für die Maultierführung zum Tamda - See noch um ein paar Dirham zu drücken. "No No" - und schon war er aus der Tür. Was wollte ich eigentlich noch? Für 15 Euro würde er in etwa vier Stunden mein Gepäck auf seinem Maultier bis zum 2660 Meter hohen Tamda - See transportieren, um dann in den nächsten vier Stunden bei einbrechender Dunkelheit alleine zurückzulaufen. "Okay !!!" rief ich ihn zurück und zeigte auf das zuletzt von ihm auf meine Landkarte gekritzelte Angebot. Sein Gesicht lachte wieder, und eine halbe Stunde später verließen wir das "Restaurant - Anmiter".

Auf dem Marsch bekamen wir erst die Bergdörfer und später eine Reihe von Hochtälern zu sehen. Perfekt passen sich die Lehmhütten der Berber in die Landschaft ein. Da das Baumaterial, hauptsächlich Lehm, Holz  und Natursteine, aus der unmittelbaren Umgebung der Dörfer stammt, sind sie farblich bis in die letzte Nuance auf die Natur abgestimmt. Diese Dörfer sind hier bereits ohne Straßenanbindung - also nur zu Fuß erreichbar. Kontrastreich liegen die Gärten beiderseits des derzeit nur wenig Wasser führenden Flusses inmitten des Einheitsbraun der Häuser und Berge. Leuchtende Farbtupfer bilden auch die Frauen und Mädchen in ihrer traditionellen Kleidung. In den Hochtälern wechseln die Farben von grau mit grün, über rotbraun wieder nach grau, um schließlich gelb zu erscheinen. Während wir im Höhenbereich unter 2000 m noch Hirten mit ihren Ziegenherden trafen, waren weiter oben die Stallungen in dieser Jahreszeit schon verlassen.                                                                                                                                                                                

Am Tamda-SeeNach reichlich vier Stunden - der Tamda - See. In einem steinigen Talkessel als etwa 100 x 300 Meter großes Oval. Nur ein leiser Wind ist zu hören, während wir uns mit frischem Fladenbrot und Butter von Brahim und  Ölsardinen von mir stärkten. Als Brahim dann den Rückweg antrat, inspizierte ich erst einmal den See. In dem leicht getrübten Wasser sind Unmengen von Pflanzen zu erkennen. Nicht nur das, auch die nun immer mehr spürbare Kälte hielt mich von einem anfänglich noch geplanten Bad ab. Mit der Dämmerung ließ dann der Wind langsam nach und es wurde immer leiser in diesem Hochtal. Bald herrschte hier Totenstille. Doch dann, gerade noch im letzten Licht zu erkennen, beginnt es überall zu leben. Insekten schwirren um die wenigen halbtrockenen Sträucher. Fische springen kurz in die Luft, zwei Wildentenpärchen ziehen lauthals ihre Kreise und ein Steinadler segelt lautlos über dem Tal. Nach einer weiteren Stunde war es wieder still. Die Sonne war untergegangen, aber Tausende von Sternen erhellten das Hochtal.                                                                                                                                                     

Berbermädchen im Hohen AtlasSchon von weitem waren die Rauchfahnen zu sehen, als ich am nächsten Morgen nach Tamzerit unterwegs war. Vier etwa zehnjährige Mädchen rösteten sackweise diese halbkugelförmigen Stachelgewächse über einem kleinen, schwarz rußenden Feuer. Durch darauffolgendes Schlagen auf einen großen Stein verarbeiteten sie diese stachlig zähe Pflanze zu einem verdaulichen Futter für Ziegen und Schafe. In der Kargheit dieser Landschaft muss alles Verwendung finden.

Bald konnte ich die auf mehreren Hügeln verteilten Häuser des Dorfes Tamzerit sehen. Mehrmals kreuzte mein Weg den von den Dorfbewohnern angelegten Wasserkanal. Eine willkommene Erfrischungsmöglichkeit. Als ich die ersten Felder des Dorfes erreichte, begrüßte mich freundlich ein Bauer, der seine Feldarbeit abbrach und mich geradewegs in sein braunes Lehmhaus führte.

Vorbei an Stallungen, niedrigen dunklen Räumen, in denen flüchtig einfachste Liegeplätze oder ein Lehmherd zu erkennen waren, erreichten wir die "gute Stube". Den Fußboden hatte man vollständig mit einfachen farbigen Teppichen bedeckt. Zwei der in Nordafrika typischen niedrigen runden Tische, an denen man auf dem Boden kniend Platz nehmen kann, waren in einer Ecke zu einem Regal übereinandergestellt und mit diversem Hausrat überladen. Zwei weitere standen ohne sichtbare Bedeutung im hinteren Teil des Raumes, wo sich noch einige Kissen und Decken stapelten. Die Wände waren mit angenagelten bunten Kinderzeichnungen, Zeitungsausschnitten, angepinselten arabischen Schriftzeichen sowie einem großen farbigen Portrait des Königs von Marokko geschmückt.

Mein Gastgeber hieß Lahcen und war bereit mich am nächsten Tag mit seinem Maultier nach Toufghine zu begleiten. Doch bis dahin hatte ich noch einen ganzen Nachmittag und Abend Zeit um das Dorfleben wenigstens ausschnittweiße kennenzulernen. Gleich zu Beginn: Teezeremonie. "The le Menthe" erklärte mir Lahcen mit erhobenem Zeigefinger und begann genüsslich langsam mit dem Ritual der Zubereitung, wie ich es später noch öfter erleben sollte. Die frischen Minzeblätter werden, wie fast immer vom Hausherren persönlich, in einer Metallkanne auf einem kleinen transportablen Holzkohleherd gebrüht. Währenddessen kamen andere Dorfbewohner dazu. Ihr plötzliches und zahlreiches Erscheinen ließ Neugier auf den Fremden vermuten. Lahcen stellte mir seine Frau Fatima vor. Ängstlich aber neugierig sahen die Kinder aus sicherer Entfernung zu. Faustgroße Zuckerklumpen müssen erst zerkleinert werden, bevor man sie dem siedenden Tee zufügt. Dreimal wird das Ganze dann durch Umgießen in ein nur dafür bereitgestelltes Glas gemischt. Das geschieht sehr langsam und bedächtig. Für alle Anwesenden Zeit zur Besinnung, Zeit die innere Ruhe zu finden. Blicke treffen sich. Austausch von Höflichkeiten. Vier Mal hatte Lahcen zwischendurch den Tee probiert und nun endlich für gut befunden. Er füllte alle Gläser, bis jeder die Menge eines doppelten Schnapses hatte, und setzte mit den Teeblättern in der leeren Kanne einen zweiten Aufguss an. 

Einer der Anwesenden war Ahmed, der mich nach dem Tee durch das ganze Dorf führte und stolz die gemeinsamen Errungenschaften presentierte, wie die angelegten Pflanzungen "le jardin", den Wasserkanal, den mit Butangas angetriebenen Generator zur dorfeigenen Stromversorgung von 18 bis 22 Uhr und die Fertigteil - Dorfschule, wie man sie im ganzen Land sieht. Auf diesem Rundgang wurden wir noch unzählige Male zum Tee in die Häuser der Dorfbewohner eingeladen. Auf einem Foto zeigte man mir einen Tamzeriter und "...Franz, allemande" am Tamda - See.

Zurück im Haus von Lahcen und Fatima gab es abends dann Kuskus, ein traditionelles Gericht aus gedünstetem Hirse- oder Hartweizengrieß mit Gemüse und Hammelfleisch. Gemeinsam aus einer großen Schüssel, um einen der niedrigen runden Tische hockend, aßen zuerst wir Männer und die größeren Jungs der Familie. Während meine Gastgeber sich mit den Fingern der rechten Hand kleine Kugeln formten und in den Mund schoben, gab man mir einen Löffel. Kurz bevor alle fertig waren teilte Lahcen das Fleisch und reichte jedem ein Stück. Danach erst ging der Rest des Essens zu den Frauen und kleinen Kindern, die sich etwas abseits um den anderen kleinen Tisch versammelt hatten.

Bis spät in die Nacht wurde dann so ziemlich alles "besprochen",  was den Einen vom Anderen interessiert. Fatima hat mit Lahcen 4 und von ihrem früheren Mann Mohammed ebenfalls 4 Kinder. Ein Farbfernseher kostet in Marokko genauso viel wie in Deutschland, Lebensmittel sind etwas billiger. Aber ein Industriearbeiter verdient dort weniger als 200 Euro monatlich, ein Bergbauer aus dem Atlas kommt überhaupt nur durch den Verkauf seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu Geld. Wenn die Ernte aber im Frühling vom Hochwasser weggespült wurde reicht es manchmal kaum für die eigene Familie. Einen Fernseher hatten Lahcen und Fatima nicht, und für das Uralt-Kofferradio waren gerade keine Batterien da. Aber niemals würden sie hier weggehen, niemals ihre Berge gegen eine Stadt  und  ihre Freiheit gegen den Kerker einer Fabrik eintauschen wollen.

Den Beweis dafür hat die Geschichte schon erbracht. In den vierziger Jahren gab die französische Armee ihre Versuche, das Gebirge zu "zivilisieren" auf. Nicht nur entschlossen sondern auch geschlossen wie wohl niemals vorher setzten sich die Atlas-Berber zur Wehr und verhinderten den Bau zweier Straßen. Trotz unzähliger Opfer in den eigenen Reihen.  Ab 1961 regiert dann König Hassan II. , von einigen Beratern abgesehen, das Land  als  Autokrat. Sein seit 1999  herrschender Sohn hat einige Demokratisierungsmaßnahmen (vor Allem: Abschaffung der Vielehe und Stärkung der Frauenrechte) eingeleitet und ist ist heute die große Hoffnung der Jugend.

Wohl auch weil erst alles umständlich vorgeführt und skizziert werden mußte, war es ein überaus vergnüglicher Abend. Vor fünf Stunden noch versteckte sich der vierjährige Ishem nach jedem Blick von mir hinter seiner Mutter. Doch irgendwann taute das Eis und er setzte sich unmittelbar neben mich. Seinen Kopf auf meinen Oberschenkel gelegt, war er am Ende des Abends schon längst in tiefen Schlaf gefallen. Lahcen zeigte auf meinen Rucksack und bedeutete mir im Scherz, den Kleinen einzupacken und mit nach Deutschland zu nehmen.

An diesem Abend waren alle Frauen und Kinder der Familie bis zum Schluß anwesend und debattierten kräftig mit. Wie ich aber später noch feststellen sollte, sind aber Frauen mancher Familien von der abendlichen Männerrunde ausgeschlossen.

Zum Schlafen wurde mir dann, wie auch bei allen weiteren Übernachtungen in den Häusern der Berber, das beste Zimmer, die "gute Stube" zugewiesen.

Nach Fladenbrot mit Öl und einigen Tassen Milchkaffee wanderten wir am nächsten Vormittag bei schönstem Sonnenschein erst über verschiedene Bergrücken und dann im Fedga-Tal nach Toufghine. Eng an die Felswände gebaute Häusergruppen und die schmalen, unmittelbar am Fluß angelegten Gärten belebten das Bild dieser erst sehr abgerundeten und später stark zerklüfteten Steinlandschaft.

In Toufghine angekommen, vermittelte mich Lahcen an einen Freund, der mir ein Dach für die nächste Nacht anbot. Beim nachmittäglichen Durchstreifen des Ortes wurde ich zufälliger Zuschauer einer von Kindern auf dem Dorfplatz veranstalteten Turn-,  Gesangs - und Theateraufführung. Die Kleinen sangen Lieder, in welche die Zuschauer einstimmten oder ließen ihre Turnvorführungen zu Slapstick-Nummern ausarten, wie wir sie aus alten Stummfilmen kennen. Natürlich verstand ich kein Wort, aber die Heiterkeit dieses Dorfspektakels war deutlich zu spüren.

Von Toufghine wollte ich das Tal des Tessaout unbedingt zu Fuß flußaufwärts gehen. Ich hatte  einige Mühe, freundlich das Angebot meines Gastgebers abzuschlagen, mich mit dem Maultier nach Ichbbakene, am Ende des Tales, zu begleiten.

Voller Erwartung auf dieses abwechslungsreiche Flußtal machte ich mich am nächsten Morgen auf den Weg. Da sich dieser Weg bis Ichbbakene nur mit geringen Höhenunterschieden im 1800 bis 2000 Meter Bereich hinaufschlängelt, war die Tour ein geradezu spielerischer Genuss.

Unterwegs Markttag in Ait Ali-n-Ito: Die appetitlich leuchtend bunten Stände der Obst- und Gemüsehändler, Fleischer, die Lämmer vor den Augen ihrer Kundschaft schlachten und somit die frischeste Ware anbieten können, der Hufschmied, der fleißig eine Reihe wartender Maultiere abarbeitet,  Eisenwarenhändler, die Schrauben, Nägel, Scharniere, Stahlwinkel und Hufeisen feilbieten. Das ursprüngliche Leben der Berber im Hohen Atlas. Die Menschen sprachen mich an, fragten mich nach dem Woher und Wohin, und freuten sich über mein Interesse an ihrer Welt in den Bergen. Obsthändler schenkten mir Äpfel und Weintrauben. Drei alte Männer, die am Rande des quirligen Treibens Tee tranken, luden mich auf ein Glas ein.

Da sich der Fluss oftmals in verschiedenen Arme aufteilte, die irgendwo wieder zusammenflossen, geschah es öfter, daß ich das kniehohe Wasser durchwaten mußte. Das störte aber keineswegs, da ich bei den Tagestemperaturen um 25°C schnell wieder trocknete. Obendrein war es äußerst erfrischend.

In einem kleinen Laubwald direkt am Fluss, kurz vor Ait Hamza, legte ich eine größere Mittagspause ein. Eine ausgezeichneter Platz für ein reinigendes Bad. So dachte ich jedenfalls bis zu dem Moment, in dem vier Frauen auf einem schmalen Pfad jenseits des Flusses von Ait Hamza herunterkamen. Mit Seifenschaum umhüllt und mit der Zahnbürste beschäftigt bemerkte ich sie erst, als ihr Gelächter und Trällern zu mir herüberdrang. Sie standen zwanzig Meter entfernt und amüsierten sich köstlich.

Etwa eine Stunde vor Ichbbakene stieß ich auf einige Berber mit ihren Maultieren, die Heu, Holz und verschiedenes frisch geerntetes Gemüse von ihren im Flußtal liegenden Feldern nach Hause brachten. Sie luden den Rucksack auf ein Maultier und unterwegs boten sie mir auch gleich eine Übernachtung an. Da es schon langsam dunkel wurde und ich mir am nächsten Tag sowieso einen Maultierführer zur Überquerung des 2860 m hohen Tizi n' Rouguelt suchen wollte, willigte ich erfreut ein.

Nach dem Tee, im Haus von Ibrahim und seiner Familie,  wurde ein kleiner Tisch hereingetragen, auf dem man etwas unter einem weißen Tuch abgedeckt hatte. Hungrig wie ich mittlerweile war, vermutete ich natürlich eine große Schüssel Kuskus . Doch weit gefehlt, mein Magen mußte sich noch gedulden, es war nur ein transportables Fernsehgerät und ein Videorecorder. Nachbarn fanden sich ein, es wurde geredet, natürlich Tee getrunken und man knabberte Wallnusskerne. Nebenbei lief ein uralter amerikanischer Film vom Videorecorder abwechselnd mit einer Unterhaltungsshow im Fernsehen. Zwar gab es danach noch eine ordentliche Portion Kuskus mit Hammelfleisch, aber einen Maultierführer für den nächsten Tag fand ich nicht. Niemand wollte mit mir die anstrengende Tour über den Sattel gehen.

Mit der Hoffnung in Amerzi, dem nächsten Dorf auf meinem Weg, doch noch einen Führer zu finden, brach ich also am darauffolgenden Morgen alleine auf. Der Weg zog sich hin. Die Karte du Maroc Demnate 1:250 000 scheint ebenso ungenau wie die von Matt Dickinson in [1] verwendete Karte im Maástab 1:100 000. Mit zunehmender Höhe, Amerzi liegt auf etwa 2200m, wird das Tal breiter und steiniger. Die wenigen Gärten drängen sich nun unmittelbar am Fluss entlang.

Vermutlich sahen mich die Bewohner schon von weitem kommen, denn gleich am Ortseingang. wurde ich begrüßt. Ein etwa sechzig jähriger, kleiner aber ziemlich kräftiger Mann erklärte sich bereit, mich über den Tizi n' Rouguelt zu führen. Vorher noch schnell Preisverhandlung bei Kuskus und Tee mit seiner Frau und fünf Söhnen in den vier Lehmwänden der Küche. Noch kauend packte er sein Bündel, zog sich an, nahm seinen Wanderstock und schon ging's los. Das einzige was noch fehlte war das Maultier. Hatten wir uns missverstanden? Ich versuchte zu klären. Er war ziemlich aufgebracht und warf mich mit lauten Worten und heftiger Gestikulation aus seinem Haus. Sekunden später rief er mich zurück, sattelte das Maultier und nun ging's wirklich los.  

Auf dem Weg zum Tizi n` RougueltWas mir im Atlas immer wieder auffiel: ist das Geschäft erst einmal besiegelt, ist von anfänglichen Meinungsverschiedenheiten nichts mehr zu spüren. Er war freundlich, machte mich auf allerlei Dinge aufmerksam, die Tour schien ihm jetzt regelrecht Spaß zu machen. Kurz vor dem Tizi n' Rouguelt füllte sich das Tal mit dicken Regenwolken, die sich langsam an den Berghängen hochschoben. Wenn wir nicht völlig durchnäßt oder gar eingeschneit werden wollten, mußten wir uns beeilen. Im Dauerlauf, mit dem Stock und lautem Geschrei das Maultier vor uns treibend, überquerten wir den Sattel bis zum Dorf Rouguelt in dreieinhalb statt den veranschlagten viereinhalb bis fünf Stunden. Er wollte am selben Tag noch zurück und das Wetter schien sich nicht zu verbessern, die Eile war also angebracht. Der Weg ging vorbei an kleinen Wasserfällen durch enge Täler mit wunderschönen zerklüfteten Felswänden auf beiden Seiten. Trotz der Anstrengung versuchte ich den Formenreichtum dieser beindruckend wilden, weit abgeschiedene Gegend zu genießen.

In Rouguelt trennten wir uns, er ging zurück nach Amerzi, und ich ging bis hinter das Dorf um einen Übernachtungsplatz in den Felswänden zu suchen. Ich hoffe, er hat sein Haus wieder wohlbehalten erreicht.

Etwa zwei Kilometer nach Rouguelt fand ich am Steilhang über dem Maultierpfad einen einladenden Felsvorsprung mit "Überdachung" für die Nacht. Ein heftiger Sturm, der Spätabends für zwei Stunden aufkam, verunsicherte mich zwar bezüglich der Wahl dieses Biwaks, aber eine phantastische Aussicht über das Ddaghour - Tal am nächsten Morgen entschädigte mich wieder dafür.

Der Weg bis Abachkou war in zwei Stunden geschafft, die Karte hatte wieder maßlos übertrieben. Zu meinem Erstaunen lag Abachkou an einem zum Teil schon asphaltierten Fahrweg, auch davon ist weder auf meiner Karte noch im Bericht von Matt Dickinson etwas zu erfahren. Zwar dauert es seine Zeit, aber irgendwann scheinen die Straßen wohl doch fertig zu werden.

Nach einem kurzen Obstfrühstück im Souk von Abachkou startete ich zur letzten Etappe im Atlas - Gebirge. Die Gehzeit durch das Lakhdar - Tal bis Tabant, dem letzten Ort meiner Wanderung, schätzten einige Männer aus Abachkou auf vier Stunden. Meine Überschlagsrechnung nach der Karte ergab etwa sechs Stunden Fußmarsch. Doch ich brauchte fast acht!

Über die Mittagszeit, in der größten Hitze des Tages, überquerte ich den letzten Gebirgszug meiner Tour. Und ausgerechnet jetzt wurde zum erstenmal auf dem gesamten Trek mein Wasser knapp. Ich setzte mir Ziele, indem ich mir das Wasser bis zu irgendeinem fernen Baum selbst verweigerte. Oder ich schaffte mir Anreize der völlig unvorhersehbaren Art: Erst wieder wenn ich irgendwo in der Landschaft eine Ansammlung von mindestens 4 festen Häusern sehe, genehmige ich mir den nächsten Schluck.

Ein älterer Berber, den ich unterwegs traf, begleitet mich fast eine Stunde. Wohl wegen meines schweren Rucksacks, oder aber wegen seiner besseren Kondition, hatte ich Mühe mit ihm Schritt zu halten. Freundlich und rücksichtsvoll paßte er sich meinem Schneckentempo an, bis ich ihm bedeutete, nicht auf mich zu warten.

Auf dem Sattel legte ich im Schatten eines großen Steines eine kurze Mittagspause ein. Vorsichtig nippte ich an meinem letzten Wasser, als mich eine entgegenkommende Berberfrau  um einen Schluck davon bat. Was soll man da tun ? Jetzt hieß es nur noch laufen und Tabant erreichen. Nur hin und wieder hatte ich einen Blick für die Hochgebirgsschönheiten des Ait Bou Goumez-Tal's.                                                                             

Kurz vor 18 Uhr erreichte ich die Herberge in Tabant. Coca-Cola mit Eis (ich weis, soll man eigentlich nicht), eiskalte Dusche (heiß war ohnehin nicht möglich) und einige Tassen Kaffee in der Dorfkneipe - was will man mehr ! Zwei Stunden später waren alle Anstrengungen des Tages vergessen. Nach dem Abendessen (zur Abwechslung mal Tajine: in einem speziellen Tontopf übereinandergeschichtete Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, Tomaten mit Hammelfleisch, marokkanische Gewürze und Olivenöl, 2-3 Stunden unter ständigem Nachgießen von Fleischbrühe gegart) angenehme Plauderei mit den beiden etwa 30-jährigen Söhnen des Herbergsbetreibers. Themen: meine Tour, Atlas-Gebirge und 4000er allgemein, das tägliche Landrover - Taxi, welches mich morgen früh um 5 Uhr aus dem Gebirge bringen könnte. Einen Wecker hat man zwar nicht, aber "...our father is a natural alarmclock".                                                                                                                                                                                  Symbolik auf einem marokkanischen Berberteppich

Morgens Punkt halb sechs wachte ich auf. Na gut, vergessen wir das Taxi, vielleicht gibt ja es noch eine andere Möglichkeit das Gebirge zu verlassen. Auf dem Weg zur Dusche kam mir schon der "natürliche Wecker" entgegen und entschuldigte sich vielmals.  Es hatte sich wohl schon die afrikanische Gelassenheit  auf mich übertragen. Ich lachte nur und klopfte ihm tröstend auf die Schulter: "No problem". Aber als ich kurz darauf zum Frühstück kam, saß dort, Kaffee trinkend, der Taxifahrer und bedeutete mir, in Ruhe zu essen. Auch er hatte scheinbar verschlafen und so kompensierte sich alles wieder.

Was dann begann, war eine herrliche Landrover - Fahrt in den Morgen. Vom Dachgepäckträger eines LKW erblickte ich vor Acht Tagen zum erstenmal  die abgeschiedenen Dörfer und Täler dieses Gebirges. Und während ich heute aus dem Fenster schaue wird mir bewusst, wie viele Formen und Nuancen dieses Gebirges ich noch nicht gesehen habe. Und dass ich wiederkomme.

Die Straße ist nun asphaltiert und in einigen Stunden erreichen wir Ait Mehhemed. Von dort noch ein paar Stunden mit Grand-Taxi und Bus gen Westen. Heute nachmittag werde ich dann  im Hotel "ALI",  im Herzen von Marrakeschs Medina, ein sehr langes Bad nehmen.

Literaturhinweis [1]:  Matt Dickinson: "Vier Mohammeds und ihre Maultiere", Reportage im Buch "Trekking - die Traumziele der Welt" , Hrsgb. John Cleare, Deutschsprachige Ausgabe 1990 BLV Verlagsgesellschaft mbH, München.

In der Diaschau "Marokko - Oasen zwischen Steinen und Sand"  können Sie die Landschaft und die Menschen dieser interessanten Tour auch in Bildern erleben. 

Vorführ-Termine erfahren Sie hier

Die Vorführung der Diaschau dauert etwa 75 Minuten; bei Interesse können Sie über Hentschel'sPlace  oder Tel. 0173 / 318 40 53  Kontakt mit mir aufnehmen. 

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